Nanopartikel und Hormesis

Unerwartete Forschungsergebnisse werfen Fragen auf.

Nachdem in den letzten Jahren wiederholt zur Forschung über Nanopartikel in homöopathischen Arzneimitteln in den Fachzeitschriften publiziert wurde, sollen hier die bisherigen Ergebnisse zusammengefasst und kritisch beleuchtet werden. Dazu werden die Publikationen von Markus Dankesreiter Hormesis und Nanobubbles [1] und Ulrich Koch Homöopathie aus nanomedizinischer Perspektive [2]  herangezogen.

Es ist kaum zu glauben. Gingen wir bisher davon aus, dass durch die schrittweise Verdünnung bei der Herstellung der homöopathischen Arzneimittel ab einer bestimmten Stufe kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr vorhanden sein kann,  zeigen die Forschungsergebnisse zu Nanopartikeln das Gegenteil. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Nanopartikel der eingesetzten Arzneigrundstoffe auch in den hohen Potenzstufen vorhanden sind. Und noch mehr spannende Ergebnisse wurden in den letzten Jahren veröffentlicht.

Zunächst die publizierten Arbeiten in Kurzfassung.

Forschergruppen/Untersuchungsgegenstand/Ergebnisse
Chikramane und seine Arbeitsgruppe führten als erste die systematische Untersuchung industriell gefertigter, aufsteigender Arzneipotenzen durch (im besonderen C6, C30, C200), die als Ausgangsstoff Metalle hatten (Zink, Zinn, Kupfer, Silber, Gold, Platin).
In fast allen untersuchten Proben wurden Nanopartikel und zwar spezifische Nanopartikel der jeweiligen Ausgangsmaterialien gefunden. Das interessante und überraschende ist, dass sich die Konzentration der gefundenen Ausgangsstoffe ab der Potenz C6 nicht nennenswert verkleinert in den C30 und C200 Potenzen (Bereich zwischen 40 - 4000pg/ml). Unterschiedliche Proben der gleichen Ausgangscharge und Potenzhöhe wiesen teilweise erhebliche Schwankungen in den Konzentrationen auf, wofür die Forscher keine Erklärung fanden. Sie wiesen auch Nanopartikel der bei der Verreibung eingesetzten Laktose nach und konnten Nanobläschen, die sich beim Verschütteln bilden, nachweisen.(2010)

Uqadhyay und Nayak untersuchten selbst hergestellte Arzneipotenzen der Arzneimittel Pulsatilla, Colchicum und Belldonna und reproduzierten die Ergebnisse Chikramanes mit der Potenz C15.
Sie konnten des Weiteren bei ihren in Glasgefäßen potenzierten Arzneien Silizium-Nanopatikel nachweisen im Unterschied zu in Plastikgefäßen potenzierten Arzneimitteln.
(2011)

Rajendran machte Untersuchungen mit Ferrum metallicum und Lycopodium, später mit Aurum metallicum und Natrium muriaticum und suchte nach Unterschieden zwischen C und LM-Potenzen.(2015/2017)

Bell und ihre Arbeitsgruppe untersuchten Argentum metallicum und Gelsemium sempervirens und auch arzneistofffreie Kontrollen.
Dabei fanden Sie in den arzneistoffhaltigen Proben wieder fast gleichbleibende Konzentrationen größerer Nanopartikel in verschiedenen Potenzen. In den arzneistofffreien Kontrollen dagegen weniger und kleinere Nanopartikel. Die Forscher fanden auch Nanopartikel von den beim Verschütteln verwendeten Materialien (Korkstopfen, Glas).
(2012-2015)

Nandy, P. et al. zeigten, dass mit steigender Potenz bei gleichbleibender Konzentration der Ausgangssubstanz die Partikelgröße abnimmt.
(2015-2018)

Temgire et al. untersuchten Natrium muriaticum, Kalium muriaticum, Calcium sulfuricum, Natrium sulfuricum und Aurum metallicum und fanden heraus, dass die Partikelgröße mit steigender Potenzhöhe kleiner wird, und die Anteile von Silizium (aus der Glaswand) und Sauerstoff zunehmen. Sie wiesen nach, dass die Ausgangsstoffe in den höheren Potenzen von Silizium-Nanopartikeln umhüllt sind und wiesen Nanobläschen als gestaltgebendes Element nach.
(2016)

Verwendete Untersuchungsmethoden
Die angewendeten Untersuchungsmethoden sind in der Materialforschung standardmäßig eingesetzte Verfahren. Die Untersuchung erfolgte mittels Transmissionselektronenmikroskopie (TEM), Feinbereichsbeugung (Selected Area Elektron Diffraction – SAED) und zur Bestimmung von Konzentrationen mittels Atomemmissionsspektroskopie (Inductivly Coupled Plasma-Atomic Emmissions Spectroscopy – ICP-AES). Temgire et al. Verwendeten HRTM, SAED und Energy Dispersive X-Ray Analysis (EDX).

Zusammenfassung
Auch wenn die Forschungsergebnisse in Details noch Unterschiede zeigen, so ist auffallend, dass bei unterschiedlichsten Arzneigrundstoffen immer wieder Nanopartikel dieser Grundstoffe auch in den Arzneipotenzen gefunden wurden, in denen nach bisherigen Annahmen nichts mehr hätte sein dürfen.
Kritiker wenden ein, dass es sich um die Verunreinigungen der verwendeten Lösungsmittel handle oder dass es von löslichen Arzneigrundstoffen keine Nanopartikelbildung geben könne. Wichtig ist, dass diese Aspekte unserer Arzneimittel weiter erforscht werden müssen, da die Forschung erst ganz am Anfang steht. Die Kritik kann auch dazu beitragen, entscheidende Fragestellungen zu erforschen.

Neben diesen grundlegenden Entdeckungen sind als weitere wichtige Entdeckungen die Laktose-Nanopatikel  (aus der Milchzucker-Verreibung der rohen Arzneistoffe) und die Silicium-Nanopartikel (aus der Glasgefäßwand) und Nanobläschen zu nennen. Interessant ist auch, dass in höheren Potenzen kleinere Nanopatikel gefunden wurden als in den niederen.

Erklärungsansatz
Was sind Nanopartikel/Nanoteilchen?
„Die Begriffe Nanopartikel bzw. Nanoteilchen bezeichnen Verbünde von einigen wenigen bis einigen tausend Atomen oder Molekülen. Der Name Nano bezieht sich auf ihre Größe, die typischerweise bei 1 bis 100 Nanometern liegt: Ein Nanometer (Abkürzung: nm) entspricht 10-9 = 0,000000001 Meter=1Milliardstel Meter. [...] „nano“ leitet sich aus dem Griechischen „nanos“ für „Zwerg“ oder „zwergenhaft“ ab. Die Eigenschaften von Nanopartikeln sind neben Ihrer Größe voranging von den Materialien aus denen sie bestehen abhängig. […]

Nanoteilchen besitzen spezielle chemische und physikalische Eigenschaften, die deutlich von denen von Festkörpern oder größerer Partikel abweichen. Dies sind unter anderem:

< höhere chemische Reaktivität durch große spezifische Oberfläche (große Teilchenoberfläche im Verhältnis zum Volumen) möglich
< geringer Einfluss von Massenkräften (Gewichtskraft) und zunehmender Einfluss von Oberflächenkräften (z.B. Van-der-Waals-Kraft)
< zunehmende Bedeutung von Oberflächenladung (siehe DLVO-Theorie) sowie thermodynamischen Effekten (Brownsche Molekularbewegung)
< daraus können stabile Suspensionen aber auch Aggregatbildung resultieren
< spezielle optische Eigenschaften“  [https://de.wikipedia.org/wiki/Nanoteilchen]

Es stellt sich die Frage, wie es dazu kommen kann, dass trotz der Verdünnungsschritte ab der 6. „Dynamisation“ es nicht zu einer Abnahme der Konzentration kommt.
Die ursprüngliche Forschergruppe um Chikramane stellte schon eine Hypothese dazu auf. Die besonderen Eigenschaften die Nanopartikel haben, unter anderem ihre Neigung sich an Grenzflächen anzuhaften, spiele dabei eine Rolle. Die Nanobläschen, die durch das Schütteln entstehen und sehr langlebig sind, stellen eine solche Grenzfläche dar, an der sich Nanopartikel anhaften, an die Oberfläche steigen und sich dort ansammeln. So würde dann in dem einen Tropfen, der ab der C6 von einer Potenz weiterverdünnt wird, annähernd wohl die gesamte Menge an Nanopartikeln der Ausgangssubstanz in die nächste Potenz überführt. Diese Hypothese wird von anderen Forschergruppen unterstützt.

Kritik
Es handelt sich bei dieser Forschung um sehr empfindliche Untersuchungsmethoden. Die Ergebnisse sollten vorerst noch mit der gebotenen Zurückhaltung bewertet werden. Die sehr interessanten Erkenntnisse brauchen weitere Forschung, um zu belastbaren Ergebnissen zu kommen.

Hormesis
Nun bleibt als nächstes die Frage zu klären, wenn nun tatsächlich in unseren Hochpotenzen Wirkstoffe vorhanden sind, reicht die Menge aus um Heilwirkungen bei Lebewesen zu erzeugen?
Markus Dankesreiter hat in seinem Artikel [1] dazu sehr gut verständlich das Model der Hormesis dargestellt.

Definition
Hormesis (griech.: „Anregung, Anstoß“, engl.: adaptive response) ist die schon von Paracelsus formulierte Hypothese, dass geringe Dosen schädlicher oder giftiger Substanzen eine positive Wirkung auf Organismen haben können. Sie wird heute in der Definition weiter gefasst. Bei medizinisch wirksamen Substanzen ist ein solcher dosisabhängiger Umkehreffekt gut nachweisbar (z.B. Digitalis, Colchicin oder Opium). Bei einer Reihe anderer Verbindungen und der Wirkung radioaktiver Strahlung auf Umwelt und Lebewesen wird die Hypothese in Fachkreisen sehr kontrovers diskutiert.

Hormetische Effekte zeichnen sich durch eine nach oben oder unten geöffnete J- oder U-förmige Dosis-Wirkungs-Kurve aus. Hormetische Effekte kommen in unterschiedlichen Kontexten vor und haben unterschiedliche ihnen zugrundeliegende Mechanismen.“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Hormesis]

Dankesreiter schreibt in seinem Artikel, dass das Phänomen der Hormesis in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen unterschiedliche Bezeichnungen hat so beispielsweise in der Pharmakokinetik als biphasische Antwort oder in der Zellbiologie als adaptive Reaktion. Man unterscheidet die präkonditionierende Hormesis von der postkonditionierenden. Einmal wird ein Belastungsreiz (Stressor) in kleinen Dosierungen auf ein System ausgeübt, bevor eine starke Belastung auf das System tritt. Der vorhergehende kleine Reiz, soll das System widerstandsfähiger machen gegen die starke Belastung. Bei der postkonditionierenden Hormesis wird nach der starken Belastung, die zur Schädigung eines Systems führt, mit kleinen Belastungsreizen versucht die Regeneration des Systems zu verbessern, was in manchen Versuchen auch gelingt. Eine weiteres Einteilungskriterium ist die Art des Stressors und der zur Stimulation eingesetzten Reizes. Wird für beides der gleiche Reiz verwendet spricht man von homologer Hormesis. Unterscheiden sich die beiden, spricht man von heterologer Hormesis. Für die Homöopathie eignet sich die heterologe postkonditionierende Hormesis als Wirkmodell. Schädigt man Zellkulturen im Experiment mit einem Hitzeschock und gibt anschließend eine kleine Dosis Arsen der Zellkultur zu, regenerieren sich die Zellen besser als eine Vergleichsprobe ohne Arsenzugabe. Als Grund dafür kann angesehen werden, dass Arsen in den Zellen ähnliche Reaktionen auslöst wie der Hitzeschock.

Schlussbemerkung
Die angeführten Forschungsergebnisse können als eine brauchbare Hypothese für ein Wirkmodell der Homöopathie betrachtet werden. Die Datenlage dazu ist allerdings noch sehr dünn und es braucht weitere Forschung dazu. Auch andere Hypothesen wie sie im Kapitel Stand der Grundlagenforschung im Forschungsreader der Wisshom [3] von Stephan Weingarten vorgestellt werden, brauchen weitere Erforschung. Es ist gut vorstellbar, dass es viele Effekte sind, die zusammengenommen die Wirkungsweise der homöopathischen Arzneipotenzen erklären. Auch die im Forschungsreader angeführte Studienlage sollte in der Diskussion nicht außer Acht gelassen werden, da sie durchaus Effekte über den Placeboeffekt, zumindest im Ansatz, erkennen lassen.

Literatur
[1] Dankesreiter, M: Hormesis und Nanobubbles. HZ IV 2016: 80-87

[2] Koch, U.: Homöopathie aus nanomedizinischer Perspektive. ZKH 2018; 62 (03): 121-126

[3] http://www.homoeopathie-online.info/wp-content/uploads/Der-aktuelle-Stand-der-Forschung-zur-Hom%C3%B6opathie-2016-WissHom.pdf

Roger Rissel
Vorstand der DGKH e.V. 
Stand Januar 2019